Rückblicke

Während meiner Chemo 2014 gab es viele Phasen, in denen es mir besser oder schlechter ging. In einer der leichteren Phasen schrieb ich eine Kurzgeschichte über die Traurigkeit und ihre Wegbegleiterin. Einige werden sie schon kennen. Ich habe versucht diese hier als Dokument einzubinden. Das funktioniert leider so nicht. Darum habe ich den Text so hier reinkopiert. Ich hoffe meine Worte und Gedanken in diesem Text finden ihr Ziel überall dort, wo sie benötigt werden.
Wenn Euch die Geschichte gefallen hat, dann gebt sie gern bitte weiter. Ich möchte nur gern darum bitten, dies mit Verweis auf meine Urheberschaft zu machen:


Weggefährten


Der Herbst hatte Einzug ins Land gehalten und tauchte die Bäume, Wiesen und Felder in ein buntes Farbenspiel. Die letzten warmen Sonnenstrahlen des Nachmittages erwärmten die Luft und luden dazu ein, den würzigen Duft des Herbstes einzuatmen. 

Am Himmel zogen die Vögel ihre Bahnen Richtung Süden und die daheimgebliebenen Tiere in Wald und Feld waren emsig damit beschäftigt, ihre Vorräte und Behausungen für den bevorstehenden Winter vorzubereiten.

Auch in den Dörfern des ganzen Landes stand alles im Zeichen der Vorbereitung auf die dunkle Jahreszeit. Die Felder wurden winterfest gemacht, das Heu eingefahren und das Vieh bezog im Stall ein jedes seine eigene Box.

Im ganzen Land herrschte eine friedvolle und harmonische Stimmung. Und dennoch, nicht jeder konnte mit einstimmen in diese goldene Jahreszeit. Dort oben, weit außerhalb des Dorfes saß, auf einem Hügel unter einem Baum, einsam eine in sich zusammengesunkene Gestalt. Von zarter und zerbrechlicher Statur war sie, eingehüllt in einen alten, grauen und verschlissenen Umhang, welcher den ganzen Körper verdeckte. Die Kaputze weit über den Kopf gezogen schaute die Gestalt zu Boden. Zu ihrer Rechten ruhte ein Wanderstab an den Baum angelehnt, und zu ihrer Linken lag ein prall gefüllter Lederschlauch. Bewegungslos verharrte sie in dieser Stellung und nur ab und zu drang ein leises Schluchzen unter der Kaputze hervor.

Ein leichter Windzug zog flüsternd durch die Baumkrone und ein Blatt, in wunderschönem rot und gold gekleidet, löste sich von seinem Ast. In seichtem Windspiel suchte es sich seinen Weg Richtung Boden, um dort mit all seinen Kameraden einen bunten Teppich zu bilden.

Die Gestalt hob leicht den Kopf und verfolgte den Weg des Blattes, wie es in großen Runden langsam zu Boden sank und sanft neben den vielen anderen Blättern zur Ruhe kam.

"Es wird Zeit für mich." sagte die Gestalt mit leiser und zerbrechlicher Stimme. Sie atmete einmal tief ein und aus, nahm den Wanderstab und erhob sich dann langsam. Noch deutlicher als zuvor konnte man nun erkennen, das der weite Umhang mehr Leere als Körper umhüllte. 

Ihr Blick wandte sich Richtung Tal, wo in einiger Entfernung das nächste Dorf auf sie wartete.


Im Dorf

Es war dunkel geworden im Tal und in den Häusern des Dorfes waren die Fenster vom Schein der Kerzen erhellt. Aus dem Wirtshaus unten an der Straße drang fröhliches Gelächter und vom Wein getränkte Stimmen sangen Lieder der Ausgelassenheit und des Frohsinns. Die Straßen des Dorfes lagen in friedlicher Dunkelheit und nur ab und zu schlich eine Katze ihres Weges dahin und huschte von einer schützenden Nische zur nächsten.

Doch nicht alle Häuser erstrahlten im warmen Licht der Kerzen. Das kleine Haus des Bäckers, dort am Rande des Dorfplatzes, gleich gegenüber des Dorfbrunnens, lag im Dunklen. Nur ein einzelnes Fenster im oberen Stockwerk ließ das schwache, flackernde Licht einer einzelnen Kerze nach draußen dringen. 

Der Bäcker, ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters und dunklem, fast schwarzem Haar, saß still im Schlafgemach auf einem einfach gezimmerten Holzstuhl neben dem Bett. Mit beiden Händen umschloß er liebevoll die Hand seiner Frau, die kraftlos und blass im Bett lag. Deutlich waren die Male des Todes in ihr Gesicht gezeichnet. Ihr Atem ging schwer und langsam und das Fieber zog unerbittlich an den letzten Lebenskräften.

Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf flüsterte der Bäcker ein Gebet nach dem anderen. Die Zeit verging unmerklich. War es noch früh am Abend, oder schon spät in der Nacht? Es war egal. Die Zeit stand in diesen Momenten einfach still. Das einzige was zählte, war die Wärme tiefer Liebe und Zuneigung, die beide jahrelang miteinander verband. 

Mittlerweile waren die Stimmen aus dem Wirtshaus verstummt und die Lichter in den Häusern verloschen eines nach dem anderen. Der Dorfplatz war nun in ein schwaches, gespenstisches Mondlicht getaucht. Neben dem Dorfbrunnen stand still die Gestalt und wartete. Geduldig blickte sie hinauf zum Fenster, hinter dem der Bäcker und seine Frau die letzten gemeinsamen Minuten miteinander verbrachten.

"Es ist soweit mein Freund. Nun brauchst du mich und ich bin gekommen, um dir beizustehen." flüsterte die Gestalt, nahm den Wanderstab zu ihrer Rechten und ging auf das Haus des Bäckers zu. Der graue weite Umhang wallte um die menschlichen Konturen umher, als ob er nichts außer Leere umhüllen würde.

Vor der Tür blieb die Gestalt einen Moment stehen und schaute nach oben zum Fenster. Dann nickte sie und trat durch die Tür ins Haus. Als ob sie schon tausende Male hier gewesen war, bewegte sie sich sicher durch den dunklen Raum und stieg langsam die Treppe hinauf.

Im Schlafgemach saß der Bäcker immer noch am Bett seiner Frau. Doch nun war sein Blick starr und versteinert und er schaute in die Augen seiner Frau, die nun in eine Ferne blickten, die kein Ziel mehr hatten.

Vorsichtig öffnete sich die Tür zum Schlafgemach und die Gestalt trat ins Zimmer ein. Der Bäcker schaute auf und blickte zur Türe. Nur schemenhaft konnte er im Kerzenlicht die Umrisse einer Person erkennen. Er hatte keine Angst. Im Gegenteil. Es war, als ob er einen alten Freund begrüßen würde.

"Wer... wer bist du und warum bist du gekommen?" flüsterte der Bäcker.

"Ich?" antwortete die Gestalt "Ich bin gekommen, dich nun ein Stück weit deines Weges zu begleiten. Das ist meine Bestimmung."

"Wenn du mich begleiten möchtest, verrätst du mir dann auch deinen Namen?" fragte der Bäcker.

Die Gestalt lehnte den Wanderstab an die Wand und sagte in einem freundlichen und warmen Ton "Aber natürlich. Man nennt mich die Traurigkeit und ich komme zu all den Menschen, die meiner Hilfe bedürfen." 

Die Traurigkeit ging langsam auf den Bäcker zu und sagte "Laß uns deine Frau nun  ihren Frieden finden." Dann streckte sie ihre dürre Hand aus und strich sanft über die Augen der Bäckersfrau. Jetzt schlief sie und ihr Gesicht war voller Ruhe und sah entspannt und zufrieden aus.

Dann öffnete die Traurigkeit ihren grauen Umhang und umhüllte schützend den Bäcker. Sie öffnete den Lederschlauch den sie an einem langen Riemen um die Schulter mitführte und füllte die Augen des Bäckers mit Tränen. Der Umhang schloß sich und die Traurigkeit nahm den Bäcker sanft in ihre Arme. Nun hörte man unter dem Umhang ein bitterliches Weinen und schluchzen. Im Schutze der Traurigkeit, konnte der Schmerz und das Leid welches der Bäcker spürte, nun mit jeder geweinten Träne hinab fließen und wurde vom grauen Umhang der Traurigkeit sorgfältig aufgenommen.

So verbrachten die Traurigkeit und der Bäcker die Zeit am Bett seiner toten Frau. Draußen zog der Mond am Firmament weiter seine Bahn und der Dorfplatz leuchtete schwach in kühlblauem Licht. Das ganze Dorf lag im Dunkel der Nacht. Nur im Fenster des Bäckers flackerte immer noch schwach eine Kerze und das bitterliche Weinen, das nun durch das Fenster das nach draußen drang, verflog ungehört in der Nacht.

Die ersten Sonnenstrahlen verkündeten die Ankunft des neuen Tages. Längst war die Kerze verloschen. Die Traurigkeit öffnete vorsichtig ihren Umhang. Alle Tränen waren geweint und trugen Schmerz und Leid mit sich davon. In der Nacht war der Bäcker vor Erschöpfung eingeschlafen und nun ruhte sein Kopf friedlich zur Seite geneigt auf dem Bettrand.

"Ich werde dich jetzt verlassen, mein Freund." flüsterte die Traurigkeit leise. "Ich habe getan was ich konnte, um dir Schmerz und Leid zu nehmen. Neue Aufgaben warten nun auf mich."

Vorsichtig löste sie sich vom Bäcker und schloß ihren Umhang. Sie nahm ihren Wanderstab, der noch immer neben der Tür an der Wand ruhte, drehte sich noch einmal zum Bäcker um und sagte leise "Lebe wohl mein Freund."

Sodann verschwand die Traurigkeit so leise, wie sie auch gekommen war. Draußen vor der Tür erstrahlte ein wunderbarer Herbsttag. Die Leute begannen ihren Aufgaben nachzugehen und das Dorf füllte sich langsam mit Leben. Nur das Haus des Bäckers würde heute still und verschlossen bleiben.

Die Traurigkeit ging hinüber zum Dorfbrunnen und füllte den leeren Lederschlauch mit frischem Wasser. Dann zog sie einen kleinen ledernen Beutel unter ihrem Umhang hervor und öffnete ihn vorsichtig. Sie nahm eine kleine Prise eines weißen, feinen Pulvers heraus und ließ dieses vorsichtig in den Lederschlauch rieseln. Sorgsam verschloss sie den Lederbeutel und verstaute ihn wieder sicher unter ihrem Umhang. Den vollen Lederschlauch fest verschlossen um die Schulter gehängt und den Wanderstab in der rechten Hand machte sich die Traurigkeit auf den Weg.

Durch breite Straßen und enge Gassen führte ihr Weg, vorbei an dem Wirtshaus aus dem gestern noch die ausgelassene Stimmung drang und das nun mit verschlossenen Türen und Fenstern auf den nächsten Abend wartete. Die Handwerker gingen ihrer Arbeit nach und die Frauen fegten den Kehricht vor den Türen zusammen. 

Die Traurigkeit ließ die letzten Häuser des Dorfes hinter sich und wanderte nachdenklich den staubigen Pfad hinaus ins Land. Sie war bedrückt und ein leises schluchzen drang unter dem Umhang hervor. Sie konnte den Menschen ihren Schmerz, den Kummer und das Leid nehmen. Aber die Leere, die als große Wunde in den Menschen zurück blieb, konnte sie ihnen einfach nicht nehmen. Und so mußte sie die Menschen stets in ihrer Einsamkeit zurück lassen.


Am Hofe des Bauern

Es war noch nicht ganz Mittag und die Traurigkeit wanderte ohne Unterlaß weiter und weiter. Ihr nächstes Ziel führte sie zu einem kleinen bäuerlichen Anwesen, welches sie in der Ferne auf einer kleinen Anhöhe bereits erblicken konnte. Es war ein gepflegtes Anwesen und lag direkt vor einem kleinen Wäldchen. Links und rechts erstreckten sich die Felder und ein langer Weg führte direkt von der Straße hoch zum Hof.

Am Fuße des Weges blieb die Traurigkeit stehen und beobachtete das Treiben auf dem Hof. Der Knecht saß auf einem Schemel im Hof und reinigte die Hufe eines prächtigen Rappen. Auf einem der Felder sah man den Bauern mit seinem Sohn Johann auf einem der letzten Kontrollritte um die Felder. 

Die Traurigkeit ließ sich unter einem Baum am Wegesrand nieder und atmete tief durch. Es war noch etwas Zeit, doch würde ihre nächste Aufgabe all ihre Kraft einfordern. Den Wanderstab legte sie behutsam an ihre rechte Seite und die dürre knochige Hand ihrer linken ließ sie auf dem Lederschlauch ruhen. Und so wartete sie.

Es verging nicht viel Zeit, da hörte man plötzlich vom Hof her ein lautes Wiehern. Johanns Pferd scheute und warf die Vorderhufe weit in die Höhe. Der kleine Johann konnte sich nicht halten und flog in hohem Bogen vom Pferd an den Feldrand. Dort blieb er regungslos liegen.

Man hörte den Bauern rufen "Johann, Johann mein Junge! Ist alles in Ordnung mit dir?" Er schwang sich vom Pferd und eilte hastig zu seinem Sohn. Dabei kam er ins straucheln und mußte sich noch mit der Hand am Boden stützen, damit er nicht stürzte.

Die Traurigkeit erhob sich und klopfte den Staub von ihrem Umhang. Langsam ging sie den Weg zum Hof hinauf. Sie empfand es als ungerecht, was dort eben geschah. Das Leben und das Wissen einer Generation sollte an die folgende weiter gegeben werden. Den elterlichen Betrieb die jungen übernehmen, wenn die Eltern alt werden. Doch wenn die Kinder vor den Eltern diese Welt verlassen, dann ist dies wider der Natur und entspricht nicht dem Lauf der Dinge wie es sein sollte.

Zorn keimte in der Traurigkeit auf und unter ihrem Umhang ballte sich die knorrige Hand zur Faust. Wie gern würde sie Gevatter Tod einmal gegenüber stehen wollen! Doch das würde niemals geschehen. Wenn sie kam, ihre Aufgabe zu erfüllen, war Gevatter Tod stets schon längst wieder weg.

Oben auf dem Hof sah man den Bauern, wie er seinen Sohn vom Feld Richtung Haus trug und rief "Martha, Martha, der Johann, schnell komm!" Doch bereits auf dem Felde hatte Gevatter Tod die kleine Seele des Johann mit in eine andere Welt genommen.

Die Traurigkeit ging über den Hof und betrat das Bauernhaus. Und bald schon drang lautes Wehgeschrei durch alle Türen und Fenster nach draußen. Auf dem Hof sah man den Knecht in aller Eile den Pferdekarren anspannen. Hastig schwang er sich dann auf den Karren und trieb die Pferde kräftig an. Die Räder wirbelten den Staub vom Weg auf und der Knecht verließ eilig den Hof. Sein Weg führte ihn hinunter zur Straße und dann Richtung Dorf, um den Pfarrer zu Hilfe zu holen.

Den ganzen Tag, die ganze Nacht und bis weit in die Mittagsstunden des folgenden Tages verweilte die Traurigkeit im Hause des Bauern. Dann trat sie erschöpft vor die Tür. Auf dem Hof befand sich der Hofbrunnen mit einer Wasserpumpe. Hier füllte die Traurigkeit ihren ledernen Schlauch wieder mit frischem Wasser auf und versah dieses wieder mit dem weißlichen Pulver.

Dann verließ sie den Hof des Bauern und wieder breitete sich in ihr das unangenehme Gefühl aus, die Menschen in ihrer großen Leere zurück lassen zu müssen. Unten am Weg schaute die Traurigkeit in den Himmel. Wolken zogen am Himmel vorüber und es war frisch geworden. Nun war der Herbst endgültig angekommen.


Ein neuer Gefährte

So zog nun die Traurigkeit durchs ganze Land und kehrte in so manches Haus ein. Die Tage und Wochen vergingen und es wurde merklich kühler und windiger im Land. Die ersten Bäume hatten ihr Laubkleid nun komplett abgelegt. Der erste Schnee würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Für sie begann nun die Zeit der Winterruhe, bis sie dann im nächsten Frühjahr wieder zu neuem Leben erwachen würden.

Vorbei an Wiesen und Wäldern, durch kleine Dörfer und große Städte führte die Reise der Traurigkeit. 

Eines Tages früh am Morgen kam sie an einen kleinen Bach, der die Straße kreuzte. Eine einfache aber stabil gebaute Holzbrücke führte über den Bach. Das Wasser brach sich an Steinen und manchem Gehölz, so das ein beruhigendes Plätschern und Rauschen die Luft erfüllte und zum verweilen einlud. Gleich hinter der Brücke lag ein dicker Baumstamm. Eine kleine alte Frau saß dort, die Hände auf einem Gehstock gestützt, und lauschte dem Rauschen des Bachs. Trotz ihres Alters erstrahlte in ihren Augen ein Glanz und man konnte meinen ein gar jugendliches Funkeln darin zu erkennen.

Als die kleine Frau die Traurigkeit bemerkte, lächelte sie ihr freundlich zum Gruße zu. Die Traurigkeit war sehr überrascht, nahmen die Menschen doch normalerweise keinerlei Notiz von ihr. 

"Guten Tag, Liebes." sagte die alte Frau zur Traurigkeit. Verwirrt erwiderte die Traurigkeit den Gruß.

"Setz dich ein wenig zu mir und leiste mir Gesellschaft." bat das Mütterchen. "Ich freue mich über ein wenig Unterhaltung."

Die Traurigkeit setzte sich zu der Frau und legte den Wanderstab sorgsam an die Seite. Sie atmete einmal tief ein und aus und seufzte dabei.

"Ich fühle, daß du bedrückt bist, Liebes. Was ist es? Erzähl es mir."

Und die Traurigkeit begann zu erzählen. Sie erzählte von den Menschen zu denen sie kam und von den vielen Schicksalsschlägen deren Zeuge sie im Laufe der vielen Jahre wurde. Sie berichtete von dem Schmerz und Kummer den sie den Menschen nahm und auch von ihrer eigenen Verzweiflung, wenn sie die Menschen dann verließ und sie mit ihrer Leere allein zurück lassen mußte.

Ohne das sie es merkte, erzählte die Traurigkeit viele Stunden lang. Und das Mütterchen hörte ihr geduldig zu. Ab und zu huschte ein Lächeln über das Gesicht der alten Frau, so als ob sie das eine oder andere erzählte wieder erkennen würde.

Die Traurigkeit fühlte sich seltsam erleichtert. Noch nie hatte ihr jemand zugehört und es tat gut sich den ganzen Kummer von der Seele zu reden. Sie schaute das Mütterchen an. Soviel Zuversicht und Vertrauen strahlte sie aus. Dann fragte die Traurigkeit "Wie kommt es, daß du mich kennst? Normalerweise nehmen die Menschen mich nicht wahr. Im Gegenteil, oft meiden sie mich und wollen nichts mit mir zu tun haben oder sie ertränken ihren Schmerz im Wein." Wieder drang ein leises trauriges schluchzen unter dem Gewand hervor.

Das Mütterchen legte ihre Hand tröstend auf das Knie der Traurigkeit, blickte sie an und sagte "Ja, solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet. Sie lassen auch mich nicht ein und verschließen ihre Tür vor mir."

Die alte Frau wandte sich zur Traurigkeit und legte beide Hände auf ihre Schulter. In ihren Augen spiegelte sich wieder der Glanz und das Funkeln.

"Wir waren schon sehr oft nah beieinander, Liebes." sagte sie. "Du hast mich nie bemerkt, doch war ich stets in deiner Nähe. Laß mich dich von nun an begleiten und uns den Weg gemeinsam gehen. Denn ohne dich, Liebes, würde es mich gar nicht geben." 

Überrascht schaute die Traurigkeit das Mütterchen an. Mit stockender Stimme sagte sie "Aber... Mütterchen... Wer bist du denn? Wie heißt du?" 

Ein Strahlen ging über das Gesicht der alten Frau. "Ich bin der Keim, den du in den Menschen säst. Ich wachse und die Leere der Menschen, die dich stets so bedrückt hat, wenn du sie zurück lassen musstest, füllt sich mit der Zeit mit Neuem. Und der Name den ich trage ist... Hoffnung."

Still saßen die Traurigkeit und die Hoffnung noch eine ganze Weile gemeinsam auf dem Baumstamm und lauschten dem Plätschern des Baches. Dann erhoben sich beide und gingen von nun an als Weggefährten gemeinsam durch die Lande. Nie wieder sollten die Menschen in Einsamkeit und Leere zurückbleiben, ohne den Funken der Hoffnung in sich zu tragen.

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(c) 2014 Olaf Meyer

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